Bildschirmarbeit und Myopie

Kurzsichtigkeit (Myopie) bedeutet, dass unsere Augen in der Ferne schlecht und in der Nähe gut sehen. Dabei ist das Auge zu lang gebaut und/oder die Brechkraft von Hornhaut und Linse zu stark. Damit sehen wir in der Ferne verschwommen. Der Dioptriewert lässt sich hier sehr leicht veranschaulichen: Der Kehrwert der Dioptrienangabe gibt die Entfernung in Metern an, bis zu der man scharf sehen kann. Konkret heißt das beispielsweise bei einer Kurzsichtigkeit von 2 Dioptrien, dass man also bis 0,5m scharf sehen kann. Ein Ausgleich durch Anstrengung oder Konzentration ist bei Kurzsichtigkeit im Gegensatz zur Weitsichtigkeit nicht möglich.

Normal ist es beim menschlichen Auge, dass im Kindesalter eine Weitsichtigkeit vorliegt, die sich neutralisiert. Kurzsichtigkeit dagegen wird als Anpassungsprozess an Nahtätigkeit und Umweltbedingungen erklärt.

Die Kurzsichtigkeit stellt in den industrialisierten Ländern die wohl häufigste „Abnormalität“ in der Entwicklung des Auges dar. Etwa 30% der Bevölkerung sind kurzsichtig. Während der Anteil in den schon länger industrialisierten Ländern nicht mehr wesentlich steigt, beobachtet man eine starke Zunahme der Myopie im asiatischen Raum – vermutlich korreliert mit der zunehmenden Industrialisierung. Kurzsichtigkeit ist in der Regel die Folge einer Verlängerung des Augapfels: Pro Millimeter Längenwachstum wird das Auge um knapp drei Dioptrien kurzsichtiger. Höhere Kurzsichtigkeiten (ab ca. 6 Dioptrien) gehen einher mit erhöhtem Risiko einer
Netzhautablösung und eines grünen Stars, des sog. Glaukoms.

Für die Entstehung von Kurzsichtigkeit ist eine genetische Prädisposition erforderlich – manche Personen werden nie kurzsichtig, obwohl sie allen bekannten Umweltreizen ausgesetzt sind, die Myopie auslösen können. Auf der anderen Seite zeigen Untersuchungen, dass Kurzsichtigkeit ohne spezifische Umwelteinflüsse bei vielen Personen wahrscheinlich nicht entstanden wäre.
Eine Untersuchung aus Australien belegt, dass die Wahrscheinlichkeit, kurzsichtig zu werden, etwa siebenmal höher ist, wenn beide Eltern kurzsichtig sind, im Vergleich zu der Wahrscheinlichkeit, wenn kein Elternteil kurzsichtig ist. Kurzsichtigkeit entsteht typischerweise in der Jugend. Im Kindergarten oder erst am Schulanfang ist sie sehr selten: z. B. sind in England nur etwa 2% der Kinder im Alter von 6 Jahren kurzsichtig. In asiatischen Ländern ist dieser Anteil jedoch bereits in diesem jungen Alter erhöht.
Oft sind Mädchen häufiger kurzsichtig, und es besteht ein ausgeprägter Einfluss des Umfeldes – ob Kinder auf dem Land aufwachsen oder in der Stadt. Seit langer Zeit wird die Zunahme der Myopie mit der Naharbeit in Verbindung gebracht.
Dabei gibt es jedoch sowohl Studien, die eine Zunahme der Kurzsichtigkeit bei dauerhafter Naharbeit belegen, als auch welche, die keinen Zusammenhang feststellen können. Ein großer Einflussfaktor ist das Studiendesign, insbesondere bei Langzeitstudien: Vielfach kann kein Zusammenhang erklärt werden, da Umgebungsvariablen wie zum Beispiel das Freizeitverhalten nicht berücksichtigt werden können.

Und da sind wir schon bei möglichen Erklärungsansätzen für einen Zusammenhang zwischen Naharbeit und Myopie: Generell stellt die Arbeit am Bildschirm bzw. mit digitalen Medien wie auch Tablett-PCs, Smartphones usw. nur eine „Sonderform“ der Naharbeit und des Nahsehens dar. – Konzentriert schauen wir auf den Bildschirm, und verfolgen dort das Geschehen. Dies hat viele Auswirkungen: Wir blinzeln weniger, unsere Augen müssen dauerhaft scharfstellen und fixieren. Damit gehen auch dann die sogenannten asthenopischen Beschwerden einher, rote Augen, brennende Augen, bis hin zu Kopfschmerzen und Doppelbildern.
Für die Entstehung einer Myopie liegt das Risiko in der dauerhaften Scharfstellung für die Nähe (sog. Akkommodation). Die Augen passen sich dabei an diese Entfernung an. Es fällt schwer, auch in der Ferne wieder scharf zu sehen, und man wird im wahrsten Sinne des Wortes „kurzsichtig“. Dieser Effekt wurde in mehreren Studien belegt, die Messungen im Tagesverlauf durchgeführt haben. Demnach ist es durchaus möglich bis zu einer Dioptrie nach mehrstündiger Naharbeit kurzsichtiger zu sein. Für die Praxis bedeutet das, dass z.B. für die Bestimmung einer Brille die Tätigkeit im Vorfeld berücksichtigt werden sollte, um zu verhindern, dass die Brillengläser „zu stark“ werden. Dieser Effekt wird induzierte transiente Myopie (NITM = Nearwork induced transient myopia) genannt. Dabei kommt es schon nach ein paar Minuten Naharbeit zu einer kurzzeitigen Myopisierung des Auges (um etwa 0.3 Dioptrien). Auch gibt es einen Zusammenhang mit der Beleuchtung bei der Nahtätigkeit und der Größe der Sehzeichen. Eine mögliche Erklärung für eine zunehmende Kurzssichtigkeit ist dauerhafte Naharbeit mit wenig Regenerationsphasen. Gefördert werden kann dies insbesondere, wenn die Brillenglasstärke nicht fachgerecht gemessen wird und die Nahtätigkeit berücksichtigt.

Weltweit gibt es eine Vielzahl Ansätze, der Myopisierung entgegen zu wirken: Die Forschungen reichen von der Genetik über die Pharmakologie, um z.B. mit Medikamenten der Kurzsichtigkeit entgegenzuwirken, bis hin zu speziellen Brillengläsern und Kontaktlinsen. Von letzteren sind erste bereits auf dem Markt, welche das Voranschreiten der Kurzsichtigkeit verlangsamen sollen.

Was sollte man generell beachten? – Auch moderne Bildschirme und ergonomische Arbeitsplätze verursachen Beschwerden und beugen einer zunehmenden Kurzsichtigkeit nicht vor. Wichtig ist es deshalb, Abwechslung in den Arbeitsalltag zu bringen. Die sog. Mischarbeit, mit durchaus mal einem Blick in die Ferne, an den Wandkalender oder aus dem Fenster beugt vor. Wichtig sind dabei für die Augen abwechslungsreiche Lichtbedingungen und Entfernungen. Bewusstes Blinzeln und kurzzeitiges Schließen der Augen hilft gegen die Abtrocknung und die Rötung der Augen. Von Experten wird generell empfohlen, einfach immer mal wieder eine Pause zum machen! Das geht soweit, dass in einigen Unternehmen sogar die Bildschirme systematisch immer wieder abgeschaltet werden, um Arbeitspausen zu erzwingen.

Menschen bis zu einem Alter von in etwa 40 Jahren sind statistisch häufiger von einer Zunahme der Kurzsichtigkeit betroffen als ältere. Einen Ausgleich durch die sogenannte Alterssichtigkeit gibt es allerdings auch nicht. Denn die Augen sind zeitlebens Änderungen unterworfen, so dass sich die Sehstärke im Normalfall alle zwei bis drei Jahre merklich ändert. Das Wachstum des Auges und dessen Veränderungen zum Stillstand zu bringen ist bisher nicht gelungen, auch nicht durch chirurgische Maßnahmen. Auch eine refraktive Korrektur, z.B. durch LASIK oder durch eine Intraokulare Linse, hilft hier nicht dauerhaft. Deshalb sollte auch ein regelmäßiger professioneller Sehtest bei einem Augenoptiker/Optometristen oder Augenarzt durchgeführt werden, mindestens alle zwei Jahre!

An der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena in den Studiengängen Augenoptik/Optometrie/Vision Science gibt es seit vielen Jahren kontinuierliche Forschung zum Thema Bildschirmarbeit und visuelle Veränderungen. Prof. Dr. Stephan Degle und Oliver Kolbe beschäftigen sich aktuell in einem von Steinbeis geförderten Projekt mit Auswirkungen der modernen Bildschirmarbeit und einer optimalen augenoptischen/optometrischen Versorgung.